Gedankenspiele
Dieser Bereich ist den Gedankenspielen gewidmet, der Selbst- und Weltbetrachtung, dem Schmunzeln über die eigene Ahnungslosigkeit und dem Staunen angesichts des großen Spiels, das wir unser Leben nennen.
Ein denkwürdiger Tropfen
Zu später Stunde findet sich ein Thema, ein Gedanke, der es wert ist, niedergeschrieben zu werden. Vielleicht eher als Selbsttherapie und -reflektion für mich selbst denn als Mehrwert und Ergänzung der intellektuellen Schätze der Menschheit, aber eventuell hilft der Gedankengang ja auch jemand anderem mit Sehnsüchten.
Sehnsüchte...mannigfaltig sind sie. Und mannigfaltig ihre Ausprägung, ihre Expression im Alltag. Manchmal erinnert uns ein unscheinbares Element im Alltag, ohne jeden Bezug zum Gegenstand der Sehnsucht an eben jene und lässt im Inneren auflodern, was man vielleicht im Trubel des Alltags vergessen.
Anderes verehrt man geradezu, Erinnerung gehört zu diesen. Besonders wenn es einprägsame, schöne Erinnerung war, ein Moment, den wir ins Herz geschlossen. Wir wollen ihn festhalten, wünschen uns dorthin zurück, wollen ihn erneut erleben und dass er nicht mehr enden möge wünsche wir uns sehr. Wenn es denn ginge...
Ich hatte vor ca. eineinhalb Jahren einen solchen Moment. Es war Wochenende, ich ging mit einem Mädchen aus, das mir sehr viel bedeutete und die mir immer noch lieb und teuer ist. Zusammen mit ein paar ihrer Bekannten gingen wir in eine Bar im Herzen der Stadt. Wir fuhren mit dem Bus, denn es war nicht weit und ich wollte etwas trinken. Nun trinke ich sehr selten. Wenn es fünf Mal im Jahr sind, wäre es viel. Dabei ist es nicht mal von Gesellschaft oder Anlässen abhängig, in meinem Regal findet sich durchaus etwas Trinkbares aus gutem Hause und erlesenem Geschmack und "Geist"... doch in dieser Zeit, im letzten Lehrjahr hatte man sich eingelebt und es schien mit meinem Leben aufwärts zu gehen, war ich doch nicht allein gerade. Also ließ ich mich fallen, innerlich. Denn betrunken hat man mich noch nie gesehen und wird man auch nicht. Es reizt mich nicht, ich könnte etwas verpassen von dem was das Leben interessant macht, sei es gut, sei es schlecht.
Wie dem auch sei, an diesem Abend wollte ich einen Whiskey probieren. Und die Umgebung lud ein dazu. Ein Gewölbe, dunkle Holztische in den Nischen, eine kleine Bar, eng ging es zu. Die Musik laut, aber erträglich, Metal und Hardrock aller Himmelsrichtungen. Dementsprechend das Publikum möchte man meinen, aber nein, bunt gemischt. Ein bisschen Knabbersachen auf dem Tisch und fertig waren die Requisiten für einen gelungenen Abend.
Ich nahm mir Zeit. Mit den Augen bei meinem Mädchen, im Kopf bei den Geschichten, in der Nase würzige Gerüche des Essens, die Note ihres Parfums mischte sich gelegentlich in den Vordergrund und in den Ohren Lachen und den Klang fröhlicher Menschen. Nachdem ich doch zu den eher ruhigen Zeitgenossen gehöre meint man, ich könne dem nichts abgewinnen. Nun, man würde sich gewaltig irren...umgeben von Menschen, denen es gut geht und die ihre Sorgen vergessen für ein paar Momente ist ein wunderbares Gefühl für mich.
Ich könnte den Abend aus meinem Kopf heraus aufmalen, wenn meine Zeichenkünste dies zuließen. Die Bilder sind so lebendig vor meinem Auge, dass ich sie greifen möchte, den Arm um das feine Mädchen legen möchte.
Der Abend wurde besser, als sich uns überraschend Arbeitskollegen anschlossen und ein von mir sehr geschätzte Ausbilder von mir sich zu uns gesellte.
Und dann bestellte ich. Jakobsens Gold Reserve. Die kleinste Menge. Denn ich will ja erstmal probieren, kenn ich ja nicht. Gut.
Dann steht das Glas vor mir. Goldgelb der Inhalt, birnenförmig das Gefäß. Ich nehme eine Nase voll, rechne mit dem gewohnten Geruch starken Alkohols, rieche jedoch Pfirsiche und Vanille.
Ich stelle das Glas ab, frage mich, ob es sein kann, oder ob sich die Bedienung geirrt haben möge? Ich probiere. In der Tat, jetzt erkenne ich Whiskey. Aber ohnegleichen, so etwas hatte ich noch nie getrunken. Dabei war es nicht mal der Teuerste auf der Karte. Verblüfft entschloss ich mich, diese kleine Glas zu genießen, wie es nur möglich wäre.
Es hielt trotzdem nicht lange vor. Auf ein zweites verzichtete ich, spürte den Alkohol bereits. Aber auf der Zunge hielt es vor. Wenn jemand den Abend und mein Glück hätte destillieren wollen, es hätte wohl so geschmeckt, wie dieser Whiskey.
Der Abend war in jeder Hinsicht wunderbar. An die Zeit erinnere ich mich sehr gerne, bewahre die Bilder und den Geruch und die Geräusche in meinem Herzen auf, hole sie hervor, wenn ich etwas Trost brauche oder ein wenig Zerstreuung.
WIe gerne würde ich nochmal in diesen Moment zurückkehren. So unscheinbar er schien und scheint, so unvergessen ist er mir.
Und seitdem bin ich auf der Suche nach einer Flasche dieses Whiskeys.
Warum schreibe ich nun heute, eineinhalb Jahre danach diese Geschichte nieder? Heute abend hatte ich ein paar Minuten, um mich auf die Suche nach Whiskey zu machen, ohne wirklichen Erfolg - mal wieder, es war nicht der erste Versuch. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es der Gold Reserve war oder der Gold Special Reserve...
Wie ich so darüber sinniere, komme ich ins Stocken. Ich kann mich so gut an diesen Abend erinnern, wieso nicht an dieses scheinbar wichtige Detail?
Es stellt sich mir nun die Frage, ob dieser WHiskey zum GEfäß für das empfundene Glück wurde in meinem Kopf, zu einer reproduzierbaren Erfahrung verklärt, zu einer Konserve der Erinnerung, die - ins Regal gestellt - immer wieder diese Momente zum Klingen bringen könnte, damit ich nie vergesse, damit ich nie...loslassen....muss...
Doch, wenn ich den Whiskey finden würde und er würde anders schmecken, wäre das nicht schlimmer? Würde das den Abend nun ab - oder aufwerten? War der Abend in der Lage, den Genuss zu vertiefen oder war es der Whiskey, der mit seiner Qualität den Abend versüßte? Wenn er nun anders schmeckte, nicht nach Pfirsich und Vanille, würde das meine Erinnerung..verwässern, verblassen lassen?
Der Mensch braucht Träume, braucht Erinnerung. Und sie darf verklärt sein, solange man sich dessen bewusst ist. Vielleicht wäre es eine Möglichkeit, sich ein Stück Glück ins Regal zu stellen. Doch verliert Glück nicht auch an Geschmack, wie ein Wein, der zu lange offen steht? Besteht der Wert einer wunderbaren Erinnerung nicht in der Einzigartigkeit ihrerselbst, in der Schönheit ihrer Seltenheit? Wie wäre das vereinbar mit einer Wiederholung nach Belieben, einem Drücken der gläsernen "Repeat-Taste", wenn sich meine Zunge an den Geschmack gewöhnt und anfänglich Pfirsich und Vanille weicht dem bekannten, drögen-trübenden Geschmack einer Spirituose?
Es entzauberte wohl mein Erinnern, das Bild, das mir so klar vor Augen würde sich verändern.
Vielleicht muss man manchmal loslassen, um zu bewahren. Das Streben danach aufgeben, um es nicht zu verlieren. Vielleicht sehe ich auch die DInge in einem Jahr anders, wer mag das schon wissen.
Doch für den Moment stelle ich die Suche ein nach diesem Whiskey und bewahre mir meine Erinnerung an diesen so einfach und doch überirdischen, diesen rustikalen und doch transzendenten, diesen menschlichen und doch göttlichen Abend.
Den ABend, an dem ich mit dem besten und hübschesten Mädchen im Arm den besten Whiskey getrunken habe, der je aus einer Flasche floss.
© Alexander Billig 2020
Deinereiner, Meinereiner - unser "Ich"
Nachdem vor kurzem in einer meiner Schriften der Begriff des "Ich" im Sinne eines eher oberflächlichen Spiegelbildes angerissen wurde, will ich an dieser Stelle etwas tiefer schürfen nun.
Es geht im Kern um den Ich-Begriff, wie ich ihn in einem Seminar über Hans-Georg Gadamer kennenlernte. Ich will hier nicht mit Zitaten und Querverweisen anfangen, sondern versuchen, einen wichtigen Aspekt seiner These kurz darzustellen, wie er sich mir darstellt. Wer weiterliest, versteht, wieso ich das so formuliere...
Ein zwei kurze Worte noch zu Gadamer, sein gewichtigstes Werk, "Wahrheit und Methode" beschäftigt sich mit der Hermeneutik, der Verstehenslehre nach dem griechischen Götterboten Hermes (nein, nicht die netten Leute, die Pakete bringen).
Auf die Frage der Hermeneutik wird zu einem späteren Zeitpunkt einzugehen sein, hier führt dies noch zu weit.
Zu Beginn sei die Frage in den Raum gestellt, worüber wir uns selbst definieren? Es gibt hierzu einige Theorien, zum Beispiel glauben manche Sozialpsychologen, dass wir als unbeschriebenes, weißes Blatt Papier auf die Welt kommen und diese uns einen Stempel aufdrückt. Diese These verneint gewissermaßen die Existenz eines angeborenen Individualismus, demzufolge müssten zwei komplett gleich aufgewachsene Menschen auch gleichen Charakters sein, was (bisher) nicht erkennbar ist.
Jedoch ist ein Gedanke hier es wert, aufgegriffen zu werden: Die Prägung durch unsere Umwelt. Ab wann werden wir denn geprägt? Letzten Endes ab dem ersten Atemzug auf dieser Welt. Und vor diesem Hintergrund, was wird denn aus den Prägungen im Laufe der Zeit? Woraus lernt man? Aus Fehlern, ja, aber vor allem aus der Erfahrung.
Wir machen also ab dem Beginn unseres Erdendaseins Erfahrungen, die sich im Laufe der Zeit zu unserer persönlichen Geschichte zusammenschließen. Hierbei muss man "Erfahrung" als umfassenden Begriff verstehen; ebenso das Prinzip der Ursache und Wirkung im bewusst reflektierten Ereignis, als auch einfache Begebenheiten oder physikalische Tatsachen im Laufe der Zeit, die schlicht von Bewusst- oder Unterbewusstsein aufgenommen werden. Einfach ausgedrückt, man "erfährt" bewusst die Reaktion eines Menschen auf eine geschnittene Grimasse, wie man auch Kälte "empfindet" und "Erfährt", ohne darüber nachdenken zu müssen.
Generell sind die Sinne unser Tor in die Welt. Doch wie wir die empfangenen Signale deuten oder interpretieren, ist die Sache jedes Einzelnen. Ebenso verhält es sich mit den Erfahrungen und der persönlichen Geschichte. Hierbei spielen Wertesysteme und Ideologien, die man mitbekommt, eine große Rolle.
Auf jeden Fall aber lässt sich eines festhalten: Es ist eine grundindividuelle Angelegenheit, dieses "Ich". Denn kein Mensch wird exakt das Gleiche fühlen, empfinden, erfahren und dann in Zukunft assoziieren wie ein anderer.
Ein schönes Beispiel sind Farben: Ist mein Blau auch wirklich dein Blau? Ist mein Rot nicht eher Dein grün und wir haben uns lediglich mal auf die Begriffe geeinigt? Um es mit Obi-Wan-Kenobi aus "Krieg der Sterne" zu sagen: "Alles eine Frage des Standpunktes."
Noch ein Beispiel: Der Begriff "Auto" in den Raum geworfen wird bei fünf Menschen sehr wahrscheinlich fünf verschiedene Bilder im Kopf hervorrufen. Selbst wenn es die gleichen Modelle sein sollten, kann sich die Farbe noch unterscheiden.
Und selbst die physikalischen Begebenheiten sind keine Ausnahme: Dem einen ist die Kälte sympathischer und er fährt nach Skandinavien in den Urlaub, der andere bevorzugt die Tropen und 35° C im Schatten. Jedem Tierchen sein Plaisierchen eben.
Eine kurze Zusammenfassung: Unser "Ich" ist also die Summe unserer gemachten Erfahrungen, gewissermaßen unsere höchsteigene Geschichte, interpretiert unter den Einflüssen von Wertesystemen und Ideologien, die wiederum bis zu einem gewissen Grad auch der individuellen Interpretation des Einzelnen unterliegen.
Daraus resultieren sogenannte Vormeinungen, Vorurteile und "Wissen", was an sich erstmal nichts Schlechtes ist und wertneutral zu betrachten ist. Wenns mir schonmal kalt war bei minus 10 Grad, dann wird das bei minus 20 Grad ebenso der Fall sein. Oft erweisen sich diese Annahmen als war, das gibt uns ein kleines bisschen Sicherheit in dieser Welt.
Allerdings, hier schließt sich eine weitführende Überlegung an: Wenn jeder Mensch sein individuelles System hat, seine eigene, nicht nachahmbare Geschichte, eigene Erfahrungen, die wiederum auf eigene Weise interpretiert wurden - wie kann man ihn dann verstehen in seinen Handlungen?
Wie verstehen wir einander eigentlich?
Wie oft, wenn wir im Alltag aneinander vorbeireden, sind wir der Meinung, der andere müsste doch endlich unsere Sicht der Dinge nachvollziehen und als richtig erkennen müssen? Wie oft unterliegt man einem Missverständnis, nur weil Kleinigkeiten anders verstanden wurden als gemeint?
Wieder die grundlegende Problematik der Kommunikation und wenn man dem folgt müsste es eigentlich zugehen, wie beim Turmbau zu Babel, jeder hat seine Sicht der DInge, drückt es auf seine Art und Weise aus, fühlt sich unverstanden, während die Umwelt bei seinen für ihn so logischen Ausführungen nur Fragezeichen in den Augen trägt.
Also, warum funktioniert das dann doch ganz gut...?
Der Schlüssel und Thema des nächsten Textes leitet sich vom griechischen "logos" ab, die Logik...
to be continued...
© 2014 Alexander Billig
Der Blick in den Spiegel oder "Wer bin ich?" - ein Denkanstoß
Jeden Morgen beim Blick in den Spiegel erblickt man ein Wesen, das einem bekannt vorkommt. Mal mehr mal weniger erkennt man jene Hülle wieder, die man seit Jahren bewohnt, mal in besserem, mal in schlechterem Zustand.
Es ist ein vertrauter Anblick.
Doch warum macht man den Blick überhaupt? Oberflächlich ist es die Kontrolle, ob die Frisur sitzt, ob die Rasur gelungen ist und man einigermaßen als Mensch erkannt wird.
Und doch steckt mehr dahinter: Der Blick in den Spiegel mit all den Kleinigkeiten, die man damit überprüfen will, ist ein Werkzeug, um das eigene Ich jeden Tag neu zu definieren und zwar unabhängig von jeder Eitelkeit.
Ob bewusst oder unbewusst trägt man das Haar mal so mal so, mal rasiert man sich, mal lässt man einen Bart stehen. Mal erschrickt man angesichts der Spuren des letzten Abends, wenn man die durchzechten Stunden wie bei den Jahresringen eines Baumes an den Augenringen abzählen kann.
Der Blick in den Spiegel ist die Frage "Wie sehe ich heute aus, wer bin ich?" und wird durch die anschließenden Taten mit Rasierer und Kosmetika beantwortet.
Doch gehen wir eine Ebene tiefer: Anhand welcher Maßstäbe treffen wir die Entscheidungen, die uns die Haarsträhne verwegen in die Stirn schieben lassen oder die Wimpern noch etwas länger ausstreichen lassen?
Die Frage nach dem Warum führt hier über die Frage nach dem Wofür: Wir bezwecken etwas. Der Mensch ist ein sinnhaftes Wesen und nur sehr wenig Dinge, die er macht, haben keinen Sinn.
Wir möchten beim Gegenüber einen bestimmten Eindruck hinterlassen, sichergehen, dass wir so gesehen werden, wie wir das gerne haben oder hätten. Denn ob das Ziel erreicht wird, kann nur die Erfahrung zeigen.
Und damit wiederrum ist ein Teil der Frage nach dem Warum beantwortet.
Wir arbeiten mit Erfahrungen und den Erlebnissen, die wir gemacht haben. Der Mensch ist grundsätzlich lernfähig (dennoch wiederholen sich manche Fehler, wie die Geschichte zeigt).
Das ist eines der Elemente, die uns zu dem machen, der wir sind. Die Erfahrung, dass kürzere Haare oder ein Bart uns dominanter wirken lassen, eine Hornbrille uns den Anschein von Intelligenz verleiht, lange Wimpern uns beim Augenaufschlag einen strategischen Vorteil in den Gehaltsverhandlungen mit dem Chef verschaffen, diese Erfahrungen lassen uns jeden Tag wieder darauf hinarbeiten, aufs Neue auf unser Umfeld zu wirken in unserem Sinne.
Abstrakt daran ist vor allem, dass die Erfahrungen subjektiv sind. Denn ob ich wirklich mit kürzeren Haaren dominanter wirke, wird mir niemand direkt sagen (außer vielleicht meinem Friseur).
Und so ist auch eine unterlassene Rasur ein Statement, das wie alle Kommunikation dem Dilemma der Verständigung und Übersetzung unterliegt.
Eine Zusammenfassung: Wir handeln nach dem vermeintlichen Wissen, das wir in selbstinterpretierten Erfahrungen gesammelt haben, in der Hoffnung, uns erneut auf die gleiche Weise in eine vorteilhafte Sichtweise zu rücken, deren Perspektive wir aber gar nicht in der Lage sind einzunehmen.
Wir versuchen, die Wahrnehmung anderer zu beeinflussen und wissen eigentlich nicht einmal genau, wie wir das tun, aber wir bauen darauf, dass es bisher (vermeintlich) geklappt hat.
Und das ist eine Facette der Antwort auf die Frage nach dem Ich.
to be continued...
© 2014 Alexander Billig